Vom Lehrer zum Maurer„Es ist ein Gefühl von Freiheit, draußen auf der Baustelle zu sein“
Jonas Hertwig hat 2023 sein Lehramtsstudium erfolgreich abgeschlossen, doch statt Lehrer zu werden, entschied er sich anschließend für eine Ausbildung zum Maurer.

Schon seit der 7. Klasse hatte Jonas Hertwig den Wunsch, Lehrer zu werden. Denn er hat Freude daran, Menschen etwas zu vermitteln, das ihn selbst begeistert. „Ich habe 2017 mein Abitur gemacht und mich danach viel mit dem Konzept der Freien Demokratischen Schulen beschäftigt, das die individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Schüler in den Mittelpunkt stellt“, erklärt der heute 26-Jährige. Deshalb absolvierte er sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an einer Freien Demokratischen Schule in Stuttgart und kam dank eines Filmprojekts an verschiedenen Orten in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden mit dem alternativen Schulkonzept in Berührung.
Glückshormone auf der Baustelle
Im Anschluss war für Jonas Hertwig klar, dass er an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg ein Lehramtsstudium absolvieren möchte. Seine Fächer: Biologie und Ethik. Doch dann kam die Corona-Pandemie und plötzlich fanden die Vorlesungen nicht mehr in Präsenz, sondern nur noch digital statt. Für Hertwig eine schwere Zeit, wie er rückblickend feststellt: „Man musste seine sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren, das war hart für mich. Ich saß alleine zu Hause vor dem Bildschirm und habe die Vorlesungen verfolgt, war aber alles andere als glücklich“, gibt er offen zu.
„2020/2021 hat mein Vater ein Haus gebaut und ich habe auf der Baustelle geholfen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Es war für mich befreiend und auch eine Art Erfüllung, den Fortschritt und das Ergebnis der mit meinen eigenen Händen geschaffenen Arbeit zu sehen“, erzählt Jonas Hertwig, der fortan parallel zum Studium bei einem Heidelberger Bauunternehmen arbeitete und im Maurerhandwerk seine Berufung gefunden hat. „Es ist ein Gefühl von Freiheit, draußen auf der Baustelle zu sein. Vor allem mit guten Kollegen macht es einfach Spaß. Da werden viele Glückshormone ausgeschüttet“, schwärmt Hertwig.
Als Maurer ist man heutzutage sehr vielseitig, das Mauern an sich ist nur ein Teilaspekt. Ich sage immer: Der Maurer ist das Schweizer Taschenmesser auf der Baustelle.
Jonas Hertwig, Maurer
Das Schweizer Taschenmesser
Auch wenn für Jonas Hertwig schnell klar war, dass er seine Zukunft nicht als Lehrer im Klassenzimmer, sondern als Maurer auf der Baustelle sieht, hat er sein Bachelorstudium durchgezogen. „Ich wollte den Abschluss in der Tasche haben. Also habe ich am 29. August 2023 meine Bachelorarbeit abgegeben und drei Tage später meine Ausbildung zum Maurer begonnen“, sagt Hertwig, der seine auf 18 Monate verkürzte Ausbildung bei E. + J. Schmidt in Heilbronn absolvierte und dort nach erfolgreichem Abschluss seit Anfang März dieses Jahres fest angestellt ist.
„Wir machen hauptsächlich Umbauten und Sanierungen, das heißt, wir arbeiten im Bestand. Neubauten haben wir so gut wie keine, höchstens Anbauten“, geht Hertwig ins Detail und erklärt, warum der Maurerberuf genau das Richtige für ihn ist: „Als Maurer ist man heutzutage sehr vielseitig, das Mauern an sich ist nur ein Teilaspekt. Ich sage immer: Der Maurer ist das Schweizer Taschenmesser auf der Baustelle. Wir dämmen Außenwände, machen Abbrucharbeiten, montieren Stahlträger, verlegen Rohre, betonieren, pflastern, asphaltieren und dichten ab. Der Beruf ist unglaublich facettenreich.“
Berufung im Handwerk gefunden
Jonas Hertwig wirkt mit Mitte 20 schon sehr reif und weiß genau, was er will. Früher spielte er American Football und machte Kampfsport. Heute ist er tagsüber auf der Baustelle und kümmert sich nach Feierabend um seinen 2,5-jährigen Sohn David.
Für Jugendliche, die sich noch in der beruflichen Orientierungsphase befinden, hat er wertvolle Tipps: „Schüler sollten sich das Handwerk anschauen und Erfahrungen sammeln, das ist unglaublich bereichernd. Praktika helfen einem dabei, herauszufinden, was einen wirklich erfüllt.“
Aus Sicht von Hertwig sollte das Handwerk nicht nur in den Schulen, sondern auch an den Hochschulen und Universitäten präsenter sein und mehr für sich werben. Seiner Meinung nach sind viele Studierende mit ihrem Studium nicht glücklich und machen es nur zum Selbstzweck – ohne zu wissen, wie sinnstiftend eine handwerkliche Ausbildung sein kann. „Nicht jeder muss studieren. Das Handwerk hat so viel zu bieten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Handwerksbetriebe offen sind und auch Leuten wie mir, die sich während des Studiums umorientieren, gerne eine Chance geben“, ist Jonas Hertwig überzeugt. Er selbst ist froh, dass er diesen außergewöhnlichen Weg eingeschlagen hat. Dadurch hat er sein berufliches Glück im Maurerhandwerk gefunden.